Islamistischer Terror in Wien Hören wir auf, uns etwas vorzumachen

Von Ulf Poschardt
Chefredakteur

Veröffentlicht am 03.11.2020

Es reicht! Die Deeskalationsrhetorik nach islamistischen Anschlägen muss ein Ende haben: Nach jeder Ausschreitung, nach jedem Terroranschlag, nach jeder antisemitischen Eskalation dieselben leeren Worte, und nichts, aber auch wirklich gar nichts passiert danach. Was wir tun müssen. WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt
Quelle: Claudius Pflug

Man kann sie nicht mehr hören, die Beschwichtigungsformeln und Kondolenzerklärungen der anderen europäischen Politiker nach den Terroranschlägen. Der einzige Staatsmann, der einen anderen Ton setzt, ist der Liberale Emmanuel Macron, der schon vor den jüngsten Attacken und Anschlägen jenen Kampf angenommen hat, den der oft diffamierte Großintellektuelle Alain Finkielkraut seit dem 11. September beschwor: Wir, die aufgeklärten Europäer, gegen einen unaufgeklärten, in der Verbitterung über das eigene Scheitern toxisch gewordenen Islamismus.

Dass es Wien trifft, mag viele Gründe haben: Die jüdische Gemeinde dort ist ein selbstverständlicher Teil einer weltoffenen, lebenslustigen, heiteren und charmant abgründigen Stadt. Und: Sebastian Kurz hat anders als die Bundeskanzlerin ein deutlicheres Signal der Solidarität mit Macron gesendet. Überhaupt die deutsche Politik. Wo waren die Schweigeminuten und politischen Gesten der Anteilnahme, als ein Islamist in Dresden ein Schwulenpaar angriff und einen der Männer ermordete? Hohl, betulich und feige versuchen zu viele Politiker zu beschwichtigen, was nicht länger zu beschwichtigen ist. Der islamistische Terror ist nicht nur Terror, er ist eine Kriegserklärung an unsere Art zu leben.

Der Westen ist darauf denkbar schlecht vorbereitet, weil er sich mit allerlei dekadenten Nebensächlichkeiten umfassend befasst, nicht aber mit einer militanten Bedrohung aller Freiheiten, wie sie der Islamismus darstellt. Schlimmer noch: Die Gesellschaft befindet sich in einem Zustand der Verleugnung. Intellektuelle, Professoren und Politiker, die das Problem des militanten Islamismus benennen, werden in eine als Diffamierung verstandene rechte Ecke gestellt und oft genug mundtot gemacht. Dabei gehören gerade muslimische liberale Intellektuelle wie Necla Kelek, Seyran Ates, Ahmad Mansour, Hamed Abdel-Samad zu den schärfsten Mahnern. Sie passen aber nicht in das Schema jener Lobbyverbände, die auf Islamkonferenzen unverantwortlicherweise das Wort fuhren dürfen.

Statt immer derselben Worthülsen, statt einer verlogenen und in sich inkonsistenten Islamkonferenzroutine muss es endlich ernste Konsequenzen geben: Moscheen, in denen der Hass auf Christen, Juden, Homosexuelle, Frauen, Nichtgläubige gepredigt wird, müssen umgehend geschlossen werden, eingeflogene Imame, die so predigen, müssen ausgewiesen werden. Die Finanzierung der Moscheen muss transparent gemacht werden. Wer sich von undurchsichtigen Verbänden finanzieren lässt, darf nicht eine Moschee auf deutschem Boden betreiben.

Die Ditib beispielsweise muss in die Loyalität zu dieser freiheitlichen Gesellschaft gezwungen werden, oder es muss jede Zusammenarbeit mit ihr eingestellt werden. Die Ausbildung der Imame soll im Zweifel nach deutschen Lehrplänen geschehen. Weder darf zugelassen werden, dass im islamischen, Schulunterricht die Scharia über das Grundgesetz gestellt wird, noch dürfen gesellschaftliche Parallelräume entstehen, die sich von den Werten der Republik abschotten.

Im Lichte der furchtbaren Bilder aus Wien haben europäische Juden auf Twitter in Hebräisch erklärt, dass es keinen Sinn mehr hat hierzubleiben, in Europa, ihrer Heimat. Es gibt nur einen Ort, an dem sie sicher sind: Israel. Und dieser Punkt wiegt genauso schwer wie der duldende Verrat an unseren Werten: Wir lassen die jüdischen Bürger wieder im Stich. Das geschwätzig selbst gerührte Gerede vom "Nie wieder" ist längst eine Farce geworden. Europa erlebt gerade die zweite Vertreibung der europäischen Juden, kaum jemand unternimmt etwas. Die linke Cancel Culture sieht in der Regel weg, wenn Davidsterne auf Schulhöfen und in Sportvereinen gecancelt werden. Wer in deutschen Städten mit einer Kippa durch die Straßen läuft, muss in Vierteln mit hoher muslimischer Bevölkerung um seine Gesundheit fürchten. Aber die Gefahr ist zynisch beseitigt: Es wagt einfach niemand mehr, mit einer Kippa zu "provozieren", weil er weiß, dass er keine Chance hat. Aber es geht noch zynischer: Wenn etwas unternommen wird wie in Berlin, dann sind es die jüdischen Kinder, die nach antisemitischen Übergriffen auf dem Schulhof die Schule verlassen. Alles daran ist falsch. Alles daran ist inakzeptabel. Alles daran ist feige und opportunistisch.

Ein Wort noch zu den intellektuellen Religionen an den Universitäten, die unter dem Label Antirassismus jenem Antisemitismus Vorschub leisten und die immer wieder nach solchen Attacken eine bemerkenswerte Täter-Opfer-Umkehr vornehmen. Die linken Intellektuellen sind blind auf dem Auge des Islamismus. Dankenswerterweise haben das auch Linke wie Kevin Kühnert und Sascha Lobo zuletzt offen formuliert und für ihre Milieus mutig zur Umkehr aufgerufen.

Sie kassierten Lob von der bürgerlichen Mitte und einen Shitstorm von den unbelehrbaren Linken. Diese Linken benutzen, nein, missbrauchen radikalisierte Migranten als menschliche Schutzschilde für ihre Agitation gegen ein System, das sie sowieso abräumen wollen. Teile einer popkulturell verehrten migrantischen Subkultur, gemeint ist nicht der Hip-Hop, sondern das postmodern identitätspolitische Raune-Feuilleton, machen den ganzen Stuss mit. Und jene, die die Polizei in der "taz" auf den Müllhaufen wünschen, verachten in ihren Texten diese Gesellschaft und Republik umfassend.

Das sind übrigens nicht DIE Muslime. Logischerweise. Es gab auch ergreifende Bilder von jungen Muslimen in Wien, die unter Gefahren verletzte Polizisten in Sicherheit brachten. Für diese jungen Bürger muss die Grenze zum Islamismus scharf gezogen werden. Wird die Gesellschaft gespalten, sind gerade jene loyalen, fleißigen, anständigen, gemäßigten, wundervollen Bürger muslimischen Glaubens diejenigen, die darunter zu leiden haben.

Und ein Wort noch zu Erdogan. Dieser unglückselige türkische Präsident muss zur Verantwortung gezogen werden. Seine Idee von der Türkei gehört nicht nach Europa. Im Gegenteil. Der türkische Präsident ist vor allem ein Feind dieses freien Europas und der europäischen Werte. Seine Attacken gegen den französischen Präsidenten sind im Gestus wie in der Verbitterung des Verlierers symptomatisch für den kulturellen und politischen Abstieg jenes Teils der islamischen Welt, der sich der Gegenwart und der Moderne verweigert. Die Radikalisierung der Islamisten ist auch das Ergebnis einer an vielen Punkten Mut machenden Veränderung der islamischen Welt. Die Friedensabkommen zwischen Israel und arabischen Ländern sind dafür ein schönes Zeichen. Sie dürfen aber nicht die Illusion nähren, dass alles gut wird. In zu vielen islamischen Kulturen markiert eine radikale Intoleranz gegenüber Nichtgläubigen, Christen, Juden und dem Westen das Wesen der Identität.

Wir müssen aufhören, uns etwas vorzumachen. Damit soll nicht einem Kulturpessimismus das Wort geredet werden, sondern einem republikanischen Realismus. Wer nicht die Werte unserer Gesellschaft teilt, sondern sie perfide angreift und sie abschaffen will, hat keinen Platz in dieser Gesellschaft. Er muss abgeschoben werden, wenn es geht, oder aber die ganze Härte des Rechtsstaats spüren. Er muss spüren und wissen, dass er hier nicht willkommen ist.

Die Deeskalationsrhetorik muss an ihr Ende kommen: Nach jeder Ausschreitung, nach jedem Terroranschlag, nach jeder antisemitischen Eskalation dieselben leeren Worte, und nichts, aber auch wirklich gar nichts passiert danach. Es reicht! Es reicht! Es reicht!


Quelle: welt.de vom 03.11.2020